Ein empathischer Wegweiser durch den Uni-Dschungel für alle, die anders ticken
Willkommen im Chaos - Du bist nicht allein!
Kennst du das Gefühl, wenn alle anderen scheinbar mühelos durch ihr Studium gleiten, während du dich fühlst, als würdest du gegen Windmühlen kämpfen? Wenn dein Schreibtisch aussieht wie ein Schlachtfeld aus Notizzetteln, halbvollen Kaffeetassen und Büchern, die du „gleich mal eben“ durchblättern wolltest? Wenn du drei Stunden vor einer wichtigen Vorlesung sitzt und plötzlich das dringende Bedürfnis verspürst, dein gesamtes Zimmer umzuräumen?
Dann bist du hier genau richtig. Und vor allem: Du bist nicht allein.
Studieren mit ADHS ist wie Autofahren mit einem Sportwagen, der manchmal Vollgas gibt und manchmal einfach stehen bleibt - oft genau dann, wenn du es am wenigsten gebrauchen kannst. Dein Gehirn funktioniert anders, und das ist weder ein Fehler noch ein Makel. Es ist einfach eine andere Art, die Welt zu erleben und zu verarbeiten.
Dieser Artikel ist kein wissenschaftlicher Fachtext voller komplizierter Begriffe und Studien, die du sowieso nicht zu Ende liest (seien wir ehrlich, wer macht das schon?). Stattdessen ist es ein ehrlicher, praktischer Wegweiser von jemandem, der versteht, dass dein Gehirn manchmal wie ein Browser mit 47 offenen Tabs funktioniert - und dass das völlig okay ist.
Wir werden gemeinsam erkunden, wie du das richtige Studium findest, Lernstrategien entwickelst, die tatsächlich zu dir passen, dein Chaos organisierst, ohne deine Kreativität zu ersticken, und wie du deine Rechte kennst und nutzt. Dabei vergessen wir nicht, dass Studieren mehr ist als nur Bücher wälzen - es geht auch um Freundschaften, Erfahrungen und darum, herauszufinden, wer du wirklich bist.
Also schnapp dir einen Kaffee (oder Tee, oder was auch immer dein Gehirn gerade braucht), mach es dir bequem, und lass uns gemeinsam diesen Weg gehen. Spoiler-Alert: Es wird besser, und du schaffst das!
Das Studium wählen: „Nicht alle Wege führen nach Rom“
Die Wahl des richtigen Studiums ist für jeden eine Herausforderung, aber für Menschen mit ADHS kann sie sich anfühlen wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen - während man gleichzeitig von hundert anderen glänzenden Objekten abgelenkt wird. Die gute Nachricht? Es gibt nicht den einen „richtigen“ Weg, und dein Weg muss nicht aussehen wie der aller anderen.
Präsenzstudium vs. Fernstudium: Der große Showdown
Stell dir vor, du müsstest jeden Morgen um acht Uhr in einem überfüllten Hörsaal sitzen, während ein Professor monoton über Theorien spricht, die dich gerade überhaupt nicht interessieren. Für manche ADHS-Gehirne ist das der pure Horror. Die festen Uhrzeiten, der Frontalunterricht, die Unmöglichkeit, einfach mal aufzustehen und sich zu bewegen - das kann sich anfühlen wie ein Gefängnis.
Hier kommt das Fernstudium ins Spiel. Stell dir vor, du könntest deine Module selbst planen, die Reihenfolge festlegen und deine Klausuren dann schreiben, wenn dein Gehirn bereit dafür ist - nicht wenn der Stundenplan es vorschreibt. Du könntest um drei Uhr nachts lernen, wenn dein Hyperfokus kickt, oder am Nachmittag, wenn deine Medikamente optimal wirken. Du könntest dabei auf deinem Swopper sitzen, mit einem Fidget-Spinner in der Hand, und niemand würde dich schief ansehen.
Das bedeutet nicht, dass Fernstudium automatisch einfacher ist. Es erfordert mehr Selbstdisziplin und Struktur - zwei Dinge, mit denen ADHS-Gehirne manchmal kämpfen. Aber es gibt dir die Flexibilität, dein Studium an deine Bedürfnisse anzupassen, anstatt dich in ein starres System zu pressen.
Deine Interessen sind dein Kompass
Hier ist ein Geheimnis, das dir niemand in der Studienberatung verrät: Wenn dich ein Thema nicht interessiert, wird dein ADHS-Gehirn rebellieren. Es ist nicht nur so, dass du dich langweilst - es ist, als würdest du versuchen, einen Motor ohne Benzin zu starten. Dein Gehirn braucht Interesse und Neugier als Treibstoff.
Deshalb ist es so wichtig, dass du ehrlich zu dir selbst bist. Was fasziniert dich wirklich? Wobei verlierst du das Zeitgefühl? Worüber könntest du stundenlang sprechen, ohne müde zu werden? Das sind deine Hinweise. Vielleicht ist es nicht das Studium, das deine Eltern sich für dich wünschen, oder das, was gesellschaftlich als „sicher“ gilt. Aber es ist deins.
Beratung nutzen, aber richtig
Studienberatungen können hilfreich sein, aber oft sind sie nicht auf die besonderen Bedürfnisse von ADHS-Studierenden eingestellt. Wenn du ein Beratungsgespräch führst, sei offen über deine ADHS-Diagnose. Frag konkret nach:
- Gibt es flexible Studienmodelle?
- Wie sieht die Unterstützung für Studierende mit besonderen Bedürfnissen aus?
- Können Prüfungsformen angepasst werden?
- Gibt es die Möglichkeit, Vorlesungen aufzuzeichnen?
Manche Universitäten haben spezielle Beratungsstellen für Studierende mit Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen. Diese Berater verstehen oft besser, was ADHS im Studienalltag bedeutet und können dir konkrete Hilfestellungen anbieten.
Der Realitätscheck
Sei ehrlich zu dir selbst über deine Stärken und Herausforderungen. Wenn du weißt, dass du morgens nicht funktionsfähig bist, wähle kein Studium mit vielen frühen Vorlesungen. Wenn du Schwierigkeiten mit schriftlichen Arbeiten hast, informiere dich über Studiengänge mit mehr mündlichen Prüfungen oder praktischen Anteilen.
Das heißt nicht, dass du dich limitieren sollst. Es heißt, dass du klug wählst und dir das Leben nicht unnötig schwer machst. Du hast schon genug Herausforderungen zu meistern - dein Studium sollte dich unterstützen, nicht zusätzlich belasten.
Lernstrategien: „Dein Gehirn ist anders - und das ist gut so!“
Vergiss alles, was dir über „richtiges Lernen“ erzählt wurde. Die meisten Lerntipps sind für neurotypische Gehirne gemacht - Gehirne, die brav zwei Stunden am Stück stillsitzen können, ohne dass die Gedanken zu dem Vogel vor dem Fenster, dem interessanten Geräusch aus dem Nachbarzimmer oder der Frage wandern, warum Zebras eigentlich Streifen haben.
Dein ADHS-Gehirn ist wie ein Hochleistungssportwagen mit einem sehr speziellen Getriebe. Wenn du versuchst, es wie einen normalen Kleinwagen zu fahren, wirst du frustriert sein. Aber wenn du lernst, es richtig zu bedienen, kann es Dinge leisten, die andere nur staunend beobachten können.
Hyperfokus: Deine geheime Superkraft
Lass uns über den Elefanten im Raum sprechen: den Hyperfokus. Während alle Welt denkt, ADHS bedeute, sich nicht konzentrieren zu können, weißt du, dass das Gegenteil der Fall sein kann. Wenn dich etwas wirklich packt, kannst du so tief eintauchen, dass die Welt um dich herum verschwindet. Plötzlich sind vier Stunden vergangen, du hast vergessen zu essen, zu trinken oder auf die Toilette zu gehen, aber du hast mehr geschafft als andere in einer ganzen Woche.
Das Problem ist nur: Dein Gehirn entscheidet, wann dieser Zustand eintritt, nicht du. Oder etwa doch?
Mit der Zeit kannst du lernen, deine Hyperfokus-Auslöser zu erkennen. Vielleicht brauchst du eine bestimmte Musik, eine spezielle Umgebung oder ein Ritual, das deinem Gehirn signalisiert: „Jetzt geht’s los.“ Manche schwören auf bestimmte Playlists, andere auf das Anzünden einer Kerze oder das Tragen ihrer „Lern-Klamotten“. Es ist wie Muskeltraining - je öfter du es übst, desto besser wird es.
Aber Achtung: Hyperfokus kann auch zur Falle werden. Stelle dir Alarme, die dich daran erinnern, Pausen zu machen. Dein Körper braucht Nahrung und Bewegung, auch wenn dein Gehirn gerade im Flow ist.
Abwechslung ist das A und O
Dein ADHS-Gehirn langweilt sich schnell. Was gestern noch funktioniert hat, kann heute schon öde sein. Deshalb brauchst du nicht eine Lernmethode, sondern ein ganzes Arsenal davon.
Manchmal hast du Lust, deine Notizen kreativ zu gestalten - mit bunten Stiften, Zeichnungen und Mind-Maps, die aussehen wie Kunstwerke. An anderen Tagen muss es schnell gehen, und ein einfacher Textmarker reicht völlig aus. Manchmal lernst du am besten, wenn du die Informationen laut vorliest, mit theatralischen Gesten und verschiedenen Stimmen. An anderen Tagen funktionieren Karteikarten oder das Abschreiben des Stoffes.
Der Schlüssel ist: Du musst dich nicht festlegen. Du darfst jederzeit neu entscheiden, was dir gerade hilft. Das ist keine Unentschlossenheit - das ist Flexibilität.
Bewegung und Stimming: Deine Nerven beruhigen
Stillsitzen ist überbewertet. Dein Gehirn braucht oft etwas für die Hände oder den Körper, um sich auf das Lernen konzentrieren zu können. Das ist kein Zeichen von Unaufmerksamkeit - es ist ein Zeichen dafür, dass dein Gehirn versucht, sich selbst zu regulieren.
Investiere in einen höhenverstellbaren Schreibtisch, damit du zwischen Sitzen und Stehen wechseln kannst. Besorge dir einen Swopper oder einen Gymnastikball als Stuhl-Alternative. Halte Fidget-Toys griffbereit - Kauketten, Therapieknete, Squishies oder den guten alten Fidget-Spinner. Was für andere wie Spielerei aussieht, ist für dich ein wichtiges Werkzeug.
Multisensorisches Lernen: Alle Sinne einbeziehen
Dein ADHS-Gehirn liebt Abwechslung und verschiedene Sinneseindrücke. Nutze das aus:
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Visuell: Markiere Texte mit verschiedenen Farben. Jede Farbe kann eine andere Bedeutung haben - rot für wichtige Definitionen, gelb für Beispiele, grün für Zusammenfassungen. Erstelle Mind-Maps, Diagramme oder Sketchnotes.
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Auditiv: Nimm dich selbst auf, wie du den Lernstoff erklärst, und höre es dir beim Spazierengehen oder Autofahren an. Nutze Hörbücher deiner Lehrbücher, wenn verfügbar. Erkläre den Stoff laut vor dich hin - gerne auch mit dramatischen Pausen und Betonungen.
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Kinästhetisch: Schreibe wichtige Informationen von Hand ab. Die Bewegung des Schreibens hilft vielen ADHS-Gehirnen beim Einprägen. Laufe beim Lernen herum oder nutze Lernkarten, die du sortieren und neu anordnen kannst.
Das Belohnungssystem: Dopamin als Treibstoff
Dein ADHS-Gehirn hat oft einen Dopaminmangel. Dopamin ist der Neurotransmitter, der für Motivation und Belohnung zuständig ist. Deshalb fällt es dir schwer, dich für Aufgaben zu motivieren, die keine sofortige Belohnung versprechen - wie das Lernen für eine Klausur, die erst in sechs Wochen stattfindet.
Die Lösung: Baue dir dein eigenes Belohnungssystem. Nach jeder Lerneinheit gönnst du dir etwas Schönes - einen Kaffee, eine Folge deiner Lieblingsserie, ein kurzes Spiel auf dem Handy oder einfach zehn Minuten nichts tun. Nach einem geschafften Lernziel wartet eine größere Belohnung - ein Abend mit Freunden, ein neues Buch oder was auch immer dich motiviert.
Pausen sind nicht optional
Dein Gehirn braucht regelmäßige Pausen, um das Gelernte zu verarbeiten. Die Pomodoro-Technik kann hilfreich sein: 25 Minuten lernen, dann 5 Minuten Pause. Nach vier Durchgängen eine längere Pause von 15-30 Minuten. Aber sei flexibel - wenn du gerade im Flow bist, zwinge dich nicht zu einer Pause. Wenn du merkst, dass nichts mehr ankommt, mache eine Pause, auch wenn die 25 Minuten noch nicht um sind.
Nutze die Pausen bewusst: Stehe auf, bewege dich, trinke etwas, schaue aus dem Fenster. Dein Gehirn braucht diese Erholung, um danach wieder voll da zu sein.
Tools und Apps: Deine digitalen Helfer
Es gibt unzählige Apps und Tools, die speziell für ADHS-Gehirne entwickelt wurden:
- Forest: Eine App, die einen virtuellen Baum pflanzt, während du lernst. Wenn du die App verlässt, stirbt der Baum. Gamification at its best.
- Notion oder Obsidian: Für die Organisation deiner Notizen und Lernmaterialien
- Anki: Für Karteikarten mit intelligentem Wiederholungssystem
- Brain.fm oder Focus@Will: Musik, die speziell für Konzentration entwickelt wurde
Aber vergiss nicht: Das beste Tool ist das, das du auch tatsächlich nutzt. Probiere verschiedene aus und bleibe bei dem, was für dich funktioniert.
Organisation und Zeitmanagement: „Chaos bändigen ohne Zwangsjacke“
Lass uns ehrlich sein: Die meisten Zeitmanagement-Tipps sind für ADHS-Gehirne ungefähr so hilfreich wie ein Regenschirm im Sturm. „Plane einfach deine Woche im Voraus“, „Arbeite jeden Tag zur gleichen Zeit“, „Teile große Aufgaben in kleine Schritte auf“ - klingt toll in der Theorie, scheitert aber oft an der Realität deines Gehirns.
Das Problem ist nicht, dass du faul oder undiszipliniert bist. Das Problem ist, dass dein Gehirn ein anderes Betriebssystem hat. Und für dieses Betriebssystem brauchst du andere Programme.
Das Zeitgefühl-Dilemma
„Ich besitze keinerlei Zeitgefühl!“ - Wenn du das schon mal gedacht hast, bist du nicht allein. ADHS-Gehirne haben oft Schwierigkeiten mit der Zeitwahrnehmung. Fünf Minuten können sich wie eine Ewigkeit anfühlen, während zwei Stunden wie im Flug vergehen. Das macht Planung zu einer echten Herausforderung.
Die Lösung liegt nicht darin, ein perfektes Zeitgefühl zu entwickeln (das wird wahrscheinlich nie passieren), sondern externe Hilfen zu nutzen. Ein visueller Timer ist dein bester Freund. Er zeigt dir nicht nur, wie viel Zeit vergangen ist, sondern auch, wie viel noch bleibt. Das rote Segment wird immer kleiner, und dein Gehirn versteht: „Aha, die Zeit läuft ab.“
Das Punktesystem: Prioritäten für ADHS-Gehirne
Die klassische Eisenhower-Matrix funktioniert bei ADHS oft nicht, weil für dein Gehirn ALLES ultra-super-wichtig und sowieso-muss-es-sofort-sein ist. Deshalb brauchst du ein System, das diese Eigenart berücksichtigt.
Entwickle dein eigenes Punktesystem: Vergib Punkte basierend auf zeitlicher Abhängigkeit und dem Grad des Einflusses. Je näher die Deadline, umso höher die Punktzahl. Je öfter ein Thema in der Klausur vorkommt, umso klausurrelevanter ist es. Am Ende hast du eine Gesamtpunktzahl, die du absteigend sortieren kannst.
Das Schöne an diesem System: Es hilft dir, den Prozess aufzuschreiben und Schritt für Schritt durchzugehen. Dein Gehirn muss nicht alle Variablen gleichzeitig jonglieren - es kann sich auf eine Sache nach der anderen konzentrieren.
Flexible Strukturen statt starrer Pläne
Vergiss den perfekten Wochenplan mit festen Lernzeiten von 14:00 bis 16:00 Uhr. Dein ADHS-Gehirn rebelliert gegen solche Zwangsjacken. Stattdessen brauchst du flexible Strukturen, die sich an deine Tagesform anpassen.
Plane lieber in Blöcken: „Diese Woche muss ich drei Kapitel durcharbeiten“ statt „Montag Kapitel 1, Dienstag Kapitel 2, Mittwoch Kapitel 3“. Wenn du Montagabend merkst, dass dein Gehirn gerade voll da ist, kannst du auch zwei Kapitel an einem Tag schaffen und dir Dienstag freinehmen.
Prokrastination: Dein unverstandener Freund
Hier kommt ein radikaler Gedanke: Kämpfe nicht gegen deine Prokrastination, sondern arbeite mit ihr. Manchmal ist Prokrastination dein Gehirn, das dir sagt: „Das ist gerade nicht dran“ oder „Ich brauche noch mehr Druck, um zu funktionieren.“
Das bedeutet nicht, dass du alles auf den letzten Drücker machen sollst. Aber es bedeutet, dass du Prokrastination als Signal verstehen kannst. Vielleicht brauchst du eine andere Herangehensweise an die Aufgabe. Vielleicht ist es noch nicht der richtige Zeitpunkt. Oder vielleicht brauchst du tatsächlich den Adrenalinstoß der nahenden Deadline.
Die Kunst liegt darin, vorbereitet zu prokrastinieren. Lies die Literatur im Voraus, erstelle eine Gliederung, sammle deine Materialien - aber schreibe die Hausarbeit vielleicht erst, wenn der Druck da ist und dein Gehirn bereit ist.
Planer und Tools: Analog und digital
Manche schwören auf digitale Tools, andere auf Papier-Planer. Die Wahrheit ist: Du darfst beides nutzen. Viele ADHS-Menschen haben sowohl einen digitalen Kalender als auch einen Papier-Planer - und das ist völlig okay.
Der Fernuni-Planer oder ähnliche speziell für flexible Studiengänge entwickelte Planer können hilfreich sein, weil sie die Besonderheiten des selbstorganisierten Lernens berücksichtigen. Sie helfen dir, den Überblick zu behalten, ohne dich in ein starres Korsett zu zwängen.
Die Kunst der Vorbereitung
Dein zukünftiges Ich wird dir dankbar sein, wenn du ihm hilfst. Bereite am Abend vor, was du am nächsten Tag brauchst. Packe deine Tasche, lege deine Kleidung bereit, stelle sicher, dass dein Laptop geladen ist. Dein morgendliches Ich, das vielleicht noch nicht ganz wach ist oder mit den Nachwirkungen der Medikamente kämpft, wird es dir danken.
Nutze auch Erinnerungen auf dem Handy - nicht nur für Termine, sondern auch für alltägliche Dinge. „Trinken nicht vergessen“, „Pause machen“, „Essen“ - was für andere selbstverständlich ist, kann für dich in der Konzentration untergehen.
Perfektion ist der Feind des Guten
Dein Organisationssystem muss nicht perfekt sein. Es muss nur funktionieren. Wenn dein Schreibtisch aussieht wie ein kreatives Chaos, aber du alles findest, was du brauchst, dann ist das dein System. Lass dir von niemandem einreden, dass es „falsch“ ist.
Das Ziel ist nicht, wie ein neurotypischer Mensch zu funktionieren. Das Ziel ist, ein System zu finden, das zu deinem Gehirn passt und dir hilft, deine Ziele zu erreichen. Und wenn das bedeutet, dass du deine Notizen in bunten Farben schreibst, beim Lernen auf einem Gymnastikball sitzt und deine Termine in drei verschiedenen Kalendern einträgst - dann ist das genau richtig für dich.
Prüfungsvorbereitung: „Der Marathon, nicht der Sprint“
Prüfungen sind für ADHS-Gehirne oft wie ein Minenfeld. Da ist die Prüfungsangst, die sich anfühlt, als würde dein Herz aus der Brust springen. Da ist das Gefühl, dass alle anderen besser vorbereitet sind. Und da ist diese fiese Stimme in deinem Kopf, die flüstert: „Du schaffst das sowieso nicht.“
Aber hier ist die Wahrheit: Du hast schon so viele Herausforderungen gemeistert. Du hast gelernt, mit einem Gehirn zu leben, das anders tickt. Du hast Strategien entwickelt, die anderen völlig fremd sind. Du bist stärker und fähiger, als du denkst.
Langfristige vs. kurzfristige Strategien
Dein ADHS-Gehirn liebt den Kick der letzten Minute. Der Adrenalinstoß, wenn die Deadline naht, kann tatsächlich deine Konzentration und Leistung steigern. Das ist nicht schlecht oder falsch - es ist einfach, wie dein Gehirn funktioniert.
Aber - und das ist ein wichtiges Aber - du solltest nicht völlig unvorbereitet in diese Last-Minute-Phase gehen. Die Kunst liegt darin, eine Basis zu schaffen, auf der du dann aufbauen kannst, wenn der Druck steigt.
Sammle während des Semesters kontinuierlich Material. Nicht um jeden Tag drei Stunden zu lernen (das funktioniert bei den wenigsten ADHS-Gehirnen), sondern um eine Grundlage zu haben. Lies die wichtigsten Texte, mache dir Notizen, erstelle eine grobe Übersicht. Wenn dann die heiße Phase beginnt, hast du nicht bei null angefangen.
Lerngruppen: Fluch oder Segen?
Lerngruppen können für ADHS-Studierende ein zweischneidiges Schwert sein. Einerseits können sie motivierend sein und dir helfen, am Ball zu bleiben. Andererseits können sie auch ablenkend sein, besonders wenn die Gruppe vom Thema abschweift oder wenn du dich unter Druck gesetzt fühlst, im gleichen Tempo zu lernen wie die anderen.
Wenn du Lerngruppen nutzt, wähle sie bewusst aus. Suche dir Menschen, die deine Arbeitsweise respektieren und die bereit sind, flexibel zu sein. Manchmal ist es besser, sich nur für bestimmte Themen oder Phasen der Vorbereitung zusammenzutun, anstatt die gesamte Lernzeit gemeinsam zu verbringen.
Eine Alternative sind „Body Doubling“-Sessions - ihr sitzt zusammen und arbeitet jeder an seinen eigenen Sachen. Die Anwesenheit anderer kann motivierend sein, ohne dass ihr euch gegenseitig ablenkt.
Prüfungsangst: Der unsichtbare Gegner
Prüfungsangst ist bei ADHS oft besonders intensiv. Dein ohnehin schon überaktives Gehirn geht in den Overdrive, und plötzlich kannst du dich an nichts mehr erinnern, was du gelernt hast. Dein Körper reagiert, als würdest du vor einem Säbelzahntiger stehen, obwohl du nur vor einem Blatt Papier sitzt.
Atemtechniken können helfen: Vier Sekunden einatmen, vier Sekunden halten, vier Sekunden ausatmen. Das signalisiert deinem Nervensystem, dass keine akute Gefahr besteht. Progressive Muskelentspannung, bei der du verschiedene Muskelgruppen bewusst anspannst und wieder entspannst, kann ebenfalls hilfreich sein.
Aber manchmal ist die beste Strategie, die Angst zu akzeptieren, anstatt gegen sie zu kämpfen. „Okay, ich bin nervös. Das ist normal. Ich kann trotzdem mein Bestes geben.“ Oft verliert die Angst ihre Macht, wenn du aufhörst, gegen sie anzukämpfen.
Last-Minute-Strategien: Für den Notfall
Manchmal läuft alles schief. Du warst krank, hattest eine schwere Zeit, oder dein Gehirn hat einfach nicht mitgespielt. Plötzlich ist die Prüfung in drei Tagen, und du hast das Gefühl, nichts zu wissen.
Panik ist jetzt nicht hilfreich. Stattdessen: Triage. Was ist wirklich wichtig? Welche Themen kommen mit hoher Wahrscheinlichkeit dran? Konzentriere dich auf die Basics und die häufigsten Prüfungsthemen. Es ist besser, 60% des Stoffes gut zu können, als 100% oberflächlich.
Nutze alle verfügbaren Ressourcen: Zusammenfassungen von Kommilitonen, YouTube-Videos, die komplexe Themen einfach erklären, oder Podcasts, die du beim Spazierengehen hören kannst. Dein Gehirn kann auch in kurzer Zeit noch viel aufnehmen, besonders wenn der Druck da ist.
Entspannungstechniken: Dein Notfallkoffer
Entwickle einen „Notfallkoffer“ mit Techniken, die dir helfen, wenn die Panik zuschlägt:
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5-4-3-2-1-Technik: Benenne fünf Dinge, die du siehst, vier, die du hörst, drei, die du fühlst, zwei, die du riechst, und eins, das du schmeckst. Das holt dich zurück in den Moment.
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Bewegung: Manchmal hilft es, kurz aufzustehen, sich zu strecken oder ein paar Schritte zu gehen. Dein Gehirn braucht manchmal Bewegung, um wieder klar zu denken.
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Positive Selbstgespräche: Statt „Ich schaffe das nie“ sage dir „Ich gebe mein Bestes“ oder „Ich habe schon schwierigere Situationen gemeistert“.
Der Prüfungstag: Survival-Modus
Am Prüfungstag selbst: Komme früh genug an, aber nicht zu früh (sonst hast du zu viel Zeit zum Grübeln). Bringe alles mit, was du brauchst, plus Backup - zwei Stifte, Ersatzbatterien für den Taschenrechner, ein Taschentuch.
Lies die Aufgaben sorgfältig durch, bevor du anfängst zu schreiben. Dein ADHS-Gehirn neigt dazu, vorschnell zu antworten. Nimm dir die Zeit, wirklich zu verstehen, was gefragt wird.
Und vergiss nicht: Eine Prüfung definiert nicht deinen Wert als Mensch. Sie ist ein Moment in der Zeit, mehr nicht. Du bist mehr als deine Noten, und dein Erfolg im Leben hängt nicht von einer einzigen Prüfung ab.
Nachteilsausgleich: „Deine Rechte kennen und nutzen“
Hier ist etwas, was viele nicht wissen: Du hast Rechte. ADHS ist eine anerkannte Behinderung, und das bedeutet, dass du Anspruch auf Unterstützung hast. Das ist keine Schwäche, kein Betrug und keine unfaire Bevorzugung. Es ist Chancengleichheit.
Stell dir vor, es gäbe eine Prüfung, bei der alle Teilnehmer einen Berg besteigen müssen. Manche starten am Fuß des Berges, andere müssen erst einen Graben überwinden, bevor sie überhaupt anfangen können zu klettern. Nachteilsausgleich bedeutet nicht, dass du den Berg nicht besteigen musst - es bedeutet, dass du die gleichen Startbedingungen bekommst wie alle anderen.
Was ist Nachteilsausgleich eigentlich?
Nachteilsausgleich bedeutet, dass die Art und Weise, wie du eine Prüfung ablegst, an deine Bedürfnisse angepasst wird - nicht der Inhalt oder das Niveau. Du musst immer noch das gleiche Wissen haben und die gleichen Kompetenzen zeigen. Aber du bekommst die Möglichkeit, das unter Bedingungen zu tun, die deine ADHS-bedingten Nachteile ausgleichen.
Die häufigsten Nachteilsausgleiche sind:
- Zeitverlängerung: Meist 25-50% mehr Zeit für Prüfungen
- Separate Räume: Weniger Ablenkung durch andere Prüflinge
- Häufigere Pausen: Möglichkeit, sich zwischendurch zu bewegen
- Alternative Prüfungsformen: Mündlich statt schriftlich oder umgekehrt
- Technische Hilfsmittel: Laptop statt Handschrift, wenn das hilft
- Begleitperson: Jemand, der bei Bedarf unterstützt
Wie beantragst du Nachteilsausgleich?
Der erste Schritt ist oft der schwerste: Du musst dich outen. Das kann sich beängstigend anfühlen, besonders wenn du bisher versucht hast, deine ADHS zu verstecken. Aber denk daran: Du bittest nicht um einen Gefallen. Du forderst ein Recht ein.
Du brauchst:
- Eine aktuelle ärztliche Bescheinigung oder ein psychologisches Gutachten
- Einen formlosen Antrag, in dem du erklärst, welche Nachteilsausgleiche du benötigst
- Manchmal zusätzliche Unterlagen wie deinen Schwerbehindertenausweis (falls vorhanden)
Stelle den Antrag rechtzeitig - am besten zu Beginn des Semesters oder spätestens bei der Anmeldung zur Prüfung. Manche Universitäten brauchen Zeit für die Bearbeitung.
Tipps für Gespräche mit Dozenten
Nicht alle Dozenten verstehen ADHS. Manche haben veraltete Vorstellungen oder denken, es sei nur eine Ausrede. Hier sind einige Strategien für diese Gespräche:
- Sei vorbereitet: Bringe deine Unterlagen mit und erkläre sachlich, was ADHS für dich bedeutet
- Fokussiere auf Lösungen: Statt zu sagen „Ich kann nicht“, sage „Ich brauche…“
- Gib konkrete Beispiele: „Ich brauche mehr Zeit, weil ich Texte mehrmals lesen muss, um sie zu verstehen“
- Bleibe professionell: Auch wenn der Dozent unsensibel reagiert, bleibe ruhig und sachlich
Selbstadvokatie: Für dich selbst einstehen
Selbstadvokatie bedeutet, dass du lernst, für deine Bedürfnisse einzustehen. Das ist eine Fähigkeit, die du dein ganzes Leben brauchen wirst, nicht nur im Studium.
Übe, über deine ADHS zu sprechen, ohne dich zu entschuldigen. „Ich habe ADHS, das bedeutet…“ ist besser als „Entschuldigung, ich habe leider ADHS, aber…“
Lerne, deine Bedürfnisse klar zu kommunizieren. „Ich brauche einen ruhigen Raum für Prüfungen“ ist klarer als „Ich kann mich schlecht konzentrieren“.
Du bist nicht allein
Viele Universitäten haben Beratungsstellen für Studierende mit Behinderungen oder besonderen Bedürfnissen. Diese Berater sind oft erfahren im Umgang mit ADHS und können dir helfen, die richtigen Nachteilsausgleiche zu beantragen.
Es gibt auch Selbsthilfegruppen und Online-Communities, in denen sich Studierende mit ADHS austauschen. Du bist nicht der erste Mensch, der diese Herausforderungen meistert, und du wirst nicht der letzte sein.
Nachteilsausgleich ist kein Luxus
Manchmal wirst du auf Menschen treffen, die denken, Nachteilsausgleich sei unfair oder ein Vorteil. Das ist nicht wahr. Nachteilsausgleich gleicht aus, was ADHS dir schwerer macht. Er gibt dir nicht mehr, als andere haben - er gibt dir die gleichen Chancen.
Du musst dich nicht rechtfertigen oder beweisen, dass du „wirklich“ ADHS hast. Du musst nicht extra leiden, um zu zeigen, dass du Unterstützung „verdienst“. Wenn du eine Diagnose hast und Schwierigkeiten im Studium erlebst, hast du ein Recht auf Unterstützung. Punkt.
Campus-Leben: „Mehr als nur Bücher wälzen“
Das Studium ist mehr als nur Vorlesungen und Prüfungen. Es ist auch eine Zeit des Wachsens, des Entdeckens und des Knüpfens von Freundschaften, die ein Leben lang halten können. Für ADHS-Studierende kann das Campus-Leben jedoch zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen.
Soziale Kontakte: Die Kunst des Smalltalks
ADHS kann soziale Situationen kompliziert machen. Vielleicht redest du zu viel oder zu wenig. Vielleicht unterbrichst du andere oder vergisst, was sie gerade gesagt haben. Vielleicht fühlst du dich in großen Gruppen überfordert oder hast Schwierigkeiten, oberflächliche Gespräche zu führen.
Das ist okay. Nicht jeder muss der Mittelpunkt jeder Party sein. Suche dir Menschen, die dich so akzeptieren, wie du bist. Oft sind das andere „Nerds“, Kreative oder Menschen, die selbst irgendwie „anders“ sind. Qualität geht vor Quantität - ein paar echte Freunde sind mehr wert als hundert oberflächliche Bekanntschaften.
Studentische Unterstützungsangebote
Viele Universitäten haben erkannt, dass Studierende mit ADHS besondere Unterstützung brauchen. Informiere dich über:
- Beratungsstellen für Studierende mit Behinderungen
- Psychologische Beratung oder Coaching
- Selbsthilfegruppen oder Peer-Support-Programme
- Workshops zu Themen wie Zeitmanagement oder Stressbewältigung
- Mentoring-Programme
Diese Angebote zu nutzen ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist klug und zeigt, dass du proaktiv für dein Wohlbefinden sorgst.
Work-Life-Balance: Ein Mythos?
Work-Life-Balance ist für ADHS-Gehirne oft ein schwer fassbares Konzept. Entweder du bist komplett im Lernmodus oder komplett im Entspannungsmodus - ein gesundes Mittelmaß zu finden, kann schwierig sein.
Akzeptiere, dass deine Balance anders aussehen kann als die anderer. Vielleicht arbeitest du drei Tage intensiv und brauchst dann einen Tag komplette Auszeit. Vielleicht lernst du am besten nachts und schläfst morgens länger. Finde heraus, was für dich funktioniert, und lass dir von niemandem einreden, dass es „falsch“ ist.
Selbstfürsorge: Nicht verhandelbar
Selbstfürsorge ist für ADHS-Studierende nicht optional - sie ist überlebenswichtig. Dein Gehirn arbeitet härter als das anderer, um die gleichen Aufgaben zu bewältigen. Du brauchst mehr Erholung, mehr Pausen und mehr Aufmerksamkeit für deine Bedürfnisse.
Das kann bedeuten:
- Regelmäßige Bewegung, um überschüssige Energie abzubauen
- Ausreichend Schlaf (auch wenn dein Gehirn nachts aktiv ist)
- Gesunde Ernährung (auch wenn Kochen manchmal zu viel ist)
- Zeit für Hobbys und Interessen außerhalb des Studiums
- Professionelle Hilfe, wenn du sie brauchst
Du bist nicht selbstsüchtig, wenn du auf deine Bedürfnisse achtest. Du bist klug.
Fazit: „Dein Weg, dein Tempo, dein Erfolg“
Du hast es bis hierher geschafft - durch diesen Artikel und durch dein Leben mit ADHS. Das ist schon ein Erfolg für sich. Dein Weg durch das Studium wird nicht geradlinig sein. Es wird Höhen und Tiefen geben, Momente des Triumphs und Zeiten der Frustration. Und das ist völlig normal.
Dein ADHS ist nicht dein Feind. Es ist ein Teil von dir, der dich kreativ, spontan, empathisch und oft überraschend macht. Ja, es bringt Herausforderungen mit sich. Aber es bringt auch Stärken mit sich, die andere nicht haben.
Du musst nicht perfekt sein. Du musst nicht wie alle anderen funktionieren. Du musst nur du selbst sein - mit all deinen Eigenarten, deinen Stärken und deinen Herausforderungen.
Das Studium ist ein Marathon, kein Sprint. Und bei diesem Marathon darfst du deine eigene Route wählen, dein eigenes Tempo gehen und deine eigenen Pausen machen. Wichtig ist nur, dass du ankommst - und zwar als die Person, die du sein möchtest.
Deine Community wartet auf dich
Du bist nicht allein auf diesem Weg. Im Studenten-Forum: ADHS an der Uni hier auf adhs-dialog.de findest du andere, die ähnliche Erfahrungen machen. Tausche dich aus, stelle Fragen, teile deine Erfolge und auch deine Rückschläge. Manchmal ist es das Wertvollste zu wissen, dass andere verstehen, was du durchmachst.
Also: Atme tief durch, sei stolz auf das, was du schon erreicht hast, und mache den nächsten Schritt. Du schaffst das - auf deine ganz eigene, wunderbare Art.
Dieser Artikel entstand aus der Überzeugung heraus, dass jeder Studierende mit ADHS das Recht hat, erfolgreich zu sein - nicht trotz seiner ADHS, sondern mit ihr. Wenn du Fragen hast, Erfahrungen teilen möchtest oder einfach jemanden zum Reden brauchst, findest du in unserer Community offene Ohren und verständnisvolle Herzen.
Quellen und weiterführende Informationen:
- ADHS Deutschland e.V.: Nachteilsausgleich in Ausbildung und Studium
- Optimiert Organisiert: 7 Strategien fürs Studieren mit ADHS
- GAM Medical: ADHS Tipps für Studierende
- Universität Würzburg: ADHS im Studium - Lern- und Organisationsstrategien